GULAG (Gulag) ist ein Akronym für die Hauptverwaltung der Lager, auf Russisch Glawnoje e uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij; heute wird es meist als Substantiv für das gesamte schreckliche System der sowjetischen Strafarbeit verwendet.
Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches (2020).
Daten zum zaristischen Verbannungssystem aus Daniel Beer, The House of the Dead. London 2016; Anne Applebaums mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetes Buch Gulag: A History (dt.: Der Gulag. Übers. von Frank Wolf, Berlin 2003) bringt nur am Rande Zahlenangaben zu den Todesopfern. Beide Bücher sind ausschlaggebend für ein Verständnis der Statistiken, in beiden wird auf die Unverlässlichkeit jeder endgültigen Zahl hingewiesen.
Die Uhr, eingeschlossen in einen schützenden Glaskasten, ist in der Eremitage in St. Petersburg noch zu besichtigen. Die meiste Zeit der Woche sitzen die Vögel still, doch jeden Mittwoch wird die zweihundert Jahre alte Mechanik behutsam aufgezogen, um den Besuchern einen Blick auf das Schauspiel zu ermöglichen, das die Zarin entzückte.
Man nimmt an, dass am Ende ihrer Regierung gut mehr als die Hälfte der Bevölkerung des russischen Kaiserreichs eine Sklavenklasse geworden war, in jeder Hinsicht so unterjocht wie die Negersklaven Amerikas.« A. N. Wilson, Tolstoy. London 1988.
»Polnisch« ist eine Vereinfachung für die kulturellen Nuancen jener Zeit, wird aber allgemein verwendet, um die verschiedenen Ethnien — unter anderem Polen, Litauer, Weißrussen — zu bezeichnen, die sich im 18. und 19. Jahrhundert dieselbe, sich ständig verändernde Region an der Westgrenze Russlands teilten.
Für die meisten nichtrussischen LeserInnen wird das verwirrenderweise die Ostfront sein, an der die Alliierten mit den Deutschen um die Kontrolle über Osteuropa kämpften. Für die Sowjetunion jedoch war es definitiv die Westfront. Die sowjetische Ostfront zentrierte sich 1945 um die Invasion der von den Japanern gehaltenen Mandschurei.
Der zeitgenössische amerikanische Autor Ian Frazier erzählt eine Geschichte über Westeuropäer nach, die den Zaren mit der Vorstellung schmeichelten, ihr Territorium sei größer als die Oberfläche des Vollmonds. Es machte nichts, dass dies potenziell nicht der Wahrheit entsprach: »Zu sagen, Russland sei größer als der Vollmond, klang eindrucksvoll und tönte nach Poesie, und aus Poesie entstehen Imperien.« Das ist einer meiner liebsten Sätze, die je über Sibirien geschrieben wurden, eine Zeile, die zur Kraft der großen sibirischen Mythen spricht. Travels in Siberia, New York 2010.
Zwei von Remesows Landkarten sind auf den Vorsatzseiten des Buches abgedruckt.
Das russische Amerika existierte von 1733 bis 1867; danach wurde es für mickrige 7,2 Millionen Dollar an die USA verkauft.
Es wurde zur Bibel während meiner Suche, ein Buch, das ich drei Jahre lang immer zur Hand hatte: Anne Swartz, Piano Makers in Russia in the Nineteenth Century. Bethlehem 2014.
Er dauerte von 1979 bis 1989 und sollte der Unterstützung der kommunistischen Regierung Afghanistans dienen.
Unter den Ausnahmen war Nikolai Turgenjew, der Onkel des Romanciers Iwan Turgenjew; er war am Tag des Aufstands außer Landes und kehrte nie mehr zurück, um sich nicht dem Zorn des Zaren auszusetzen.
Die Bezeichnung stammt von Puschkin. Angeblich verliebte er sich in Maria, die damals fast noch ein Kind war, als er mit ihrer Familie auf der Krim die Ferien verbrachte.
Die Liebesgeschichte der Wolkonskis war nicht vollkommen. Manche Historiker vermuten, Marias zwei Kinder seien Sprösslinge ihrer langen Affäre mit Sergeis Freund, ebenfalls Dekabrist, dem charismatischen Alessandro Poggio, der zusammen mit Marias Mann den Gemüsegarten der Häftlinge betreute.
Wegen seiner noblen Herkunft wurde das Lichtenthal-Klavier in den Neunzigern aus Irkutsk nach St. Petersburg zum Restaurieren geschickt. Der damalige Museumsdirektor organisierte den Transport mittels Militärflugzeug zum Restaurateur Juri Borisow, einem Mann, den ich kennenlernte, genannt »Der letzte Mohikaner«; er war noch von einem der ursprünglichen Meister aus der Zeit vor der Revolution in der Klavierfabrik Becker ausgebildet worden.
Johann Sebastian Bachs Chaconne ist der letzte Satz seiner Partita Nr. 2 in d-Moll und für Violine gesetzt. Der italienische Komponist Ferruccio Busoni transkribierte sie 1891/92 für Klavier.
Awwakum, ein religiöser Eiferer mit literarischen Neigungen, fand im Exil Zeit, einen der frühesten Reiseberichte über Sibirien zu verfassen. Sein Buch beschreibt den Baikalsee, mit so vielen Schwänen bedeckt, dass sie wie Schnee wirkten, und so hohen Felsklippen, dass man sich beim Emporblicken den Hals verrenkte. Awwakum, Das Leben des Erzpriesters Awwakum, von ihm selbst erzählt. Göttingen 1965.
Joseph Conrads Kurzgeschichte Prinz Roman — wiederveröffentlicht in Joseph Conrad, Tales of Hearsay, New York 1925 (dt.: Joseph Conrad, Geschichten vom Hörensagen. Übers. von Fritz Lorch, Frankfurt 1983) — berichtet von der Jugend des Autors, als er den alternden Fürsten Roman Sanguszko kennenlernt, der sein Exil in Sibirien dreißig Jahre zuvor überlebt hat. Conrad beschreibt Sanguszko als jemanden, »der als Mensch herausragte unter allen Menschen, die tiefen Empfindens, festen Glaubens glühender Liebe fähig sind«.
Chopin führte ein Wanderleben, er reiste weit in Europa herum. 1838 verbrachte er den Winter in Mallorca, wo er seine »24 Préludes« auf dem vielleicht berühmtesten aller vergessenen Klaviere vollendete. Das Klavier wurde siebzig Jahre später von der polnischen Cembalistin und Chopin-Bewundererin Wanda Landowska wiederentdeckt, dann aber von den Nazis beschlagnahmt und ging neuerlich verloren. Die ganze Geschichte hat Paul Kildea in Chopin’s Piano, London 2018, erzählt.
Die Zahl der im 19. Jahrhundert nach Sibirien verbannten Polen variiert je nachdem, wo die Chronisten die Grenze des Ural zogen, auch nach anderen Faktoren, etwa der Unzuverlässigkeit der zaristischen Aufzeichnungen. In The Mass Deportation of Poles to Siberia 1863—1880, Basingstoke 2017, hat der Historiker Andrew Gentes folgende Annahme geäußert: »Die Massendeportation der Polen zwischen 1863 und den 1880er Jahren war vielleicht die größte erzwungene Migration von Europäern vor dem Ersten Weltkrieg. Sie resultierte in Tausenden und Abertausenden persönlichen Tragödien, von denen nur ein kleiner Prozentsatz jemals dokumentiert wurde.«
Polonaise in es-Moll, op. 26, Nr. 2.
Es gab unter den Sträflingen, die aufgegriffen und in dasselbe Gefängnis zurückgeschleppt wurden, dem sie entkommen waren, die Tradition, den Namen »Brodjaga« anzunehmen, so viel wie »Landstreicher, Vagabund«. Die Gefängnissitten sahen vor, dass nicht nur die Mithäftlinge, sondern auch die Wachen den wahren Namen des Rückkehrers nicht mehr aussprechen durften. Falls sie ihn verrieten, so konnten sie laut dem russischen Journalisten Wlas Doroschewitsch umgebracht werden. Russia’s Penal Colony in the Far East: A Translation of Vlas Doroshevich’s »Sakhalin«, London — New York 2011.
Girew befand sich in dem Suchtrupp, der den toten Entdecker fand. Sein Lieblingshund Osman verbrachte den Rest seines Lebens in einem neuseeländischen Zoo. Free Lance, August 1916.
Nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg, als es seine Kontrolle über Sachalin an die UdSSR abtreten musste, begann der Repatriierungsprozess aus Süd-Sachalin, das seit 1905 unter japanischer Herrschaft gestanden war. Etwa 400.000 Menschen verließen die Insel. Die Japaner, die blieben, waren als »Bleiber« oder »Nichtheimkehrer« bekannt. Taisho Nakayama, »Japanese Society on Karafuto«, in: Swetlana Paichadze und Philip A. Seaton (Hg.), Voices from the Shifting Russo-Japanese Border. London — New York 2015.
Der britische Historiker Orlando Figes erzählt die kuriose Geschichte, wie Rasputins einbalsamierter Leichnam, der ursprünglich auf dem Gelände der Residenz Zarskoje Selo außerhalb von St. Petersburg beerdigt war, nach der Revolution ausgegraben, in einem alten Klavier weggetragen und in einen Wald geschafft wurde, wo Soldaten ihn verbrannten. In: Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891—1924. Berlin 1998.
Viele Musiker unterstützten die Bolschewiken, nur um ihre Entscheidung später zu bereuen. Der futuristische Komponist Arthur Lourié blieb und wandte sich voller Hoffnung der Sache der Revolution zu; 1918 wurde er Chef der Musikabteilung des Volkskommissariats für Aufklärung. Nach einem Besuch in Berlin 1922 kehrte er aber nicht mehr zurück. Prokofjew wiederum kam 1936 für immer nach Russland zurück.
Während der Belagerung von Leningrad bildeten Katzen eine Lebensmittelquelle für die verhungernde Bevölkerung. Die Katzen der Eremitage allerdings wurden verschont, um die Schätze des Museums vor einer Mäuseplage zu bewahren.
Der Name Ganina Jama bedeutet Ganjas Grube und bezieht sich auf eine nach ihrem Besitzer Ganja benannte Bergwerksgrube.
Aus meinem letzten Briefwechsel mit einem Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche im März 2019: »Die Kirche ist bereit, auf die Resultate zu warten, falls welche ans Tageslicht kommen. Für uns ist es das Wichtigste, dass diese Resultate von allen akzeptiert werden, damit sie nicht die orthodoxen Gläubigen spalten in jene, die die Überreste anerkennen, und jene, die das nicht tun.«
Ihre Produktion des Sacre du Printemps, die 1913 in Paris mit Roerichs Bühnenbildern Premiere hatte, galt als skandalös avantgardistisch. Sie erregte Tumulte, und Gerüchte gingen um, die Polizei sei geholt worden, um zu verhindern, dass Gegenstände aus dem Zuschauerraum auf die Bühne geworfen wurden.
Im Nicholas-Roerich-Museum in Nowosibirsk.
»Sie haben mich einmal gefragt«, sagte O’Brien, »was in Zimmer 101 wäre. Ich sagte Ihnen, Sie würden die Antwort bereits kennen. Jeder kennt sie. In Zimmer 101 erwartet einen das Schrecklichste von der Welt.« (…) »Das Schrecklichste von der Welt«, sagte O’Brien, »variiert natürlich von Person zu Person. Es kann das Lebendigbegraben-Werden sein oder der Tod durch Feuer, durch Ertrinken, durch Pfählung oder fünfzig andere Todesarten. Es gibt Fälle, da ist es etwas ganz Triviales, nicht einmal Tödliches.« George Orwell, 1984. Übers. von Michael Walter, Berlin 1994.
Das ist ein bis heute ungelöster Kriminalfall, der die Historiker spaltet. Es hat immer Spekulationen gegeben, Stalin selbst habe die Attacke auf Kirow angeordnet und dadurch einen Grund geschaffen, jeden nur möglichen »Staatsfeind« unschädlich zu machen.
Der britische Historiker Robert Conquest untersuchte im Detail die Anwesenheit der Spanier in Kolyma; um die fünftausend Kleinkinder waren zunächst als »humanitäre Geste« in die UdSSR gebracht worden, kamen dann in Waisenhäuser und glitten später in die Kriminalität ab. Kolyma. London 1978.
Kosins Wohnung ist jetzt ein kleines Museum in der Uliza Schkolnaja 1 in Magadan.
Mitten in Sibirien, weit weg von jedem milderen ozeanischen Klima, befindet sich die bitterkalte Diamantenstadt Mirny. Als ich im Sommer 2016 dort war, blieb ich an einer Kreuzung im Stadtzentrum stehen. An einer Ecke stand eine jüngst errichtete Statue von Josef Stalin, an der zweiten eine russisch-orthodoxe Kirche mit einem Bild des letzten Zaren samt goldenem Heiligenschein. An der dritten hingen Flaggen, die für Präsident Wladimir Putins Partei »Einiges Russland« warben. Und nahe an der vierten Ecke oder ungefähr dort stand eine Kunstschule für Kinder, mit zahlreichen modernen Flügeln, teilweise bezahlt von der Diamant-Bergbaugesellschaft, die vielen Einwohnern Mirnys Arbeit gibt. Hier zu stehen fühlte sich an wie im Auge eines Taifuns: Wie können Putin, Stalin, der letzte Zar und das Big Business auf diese Art koexistieren, als wären Vergangenheit und Zukunft in Harmonie? Das Zusammentreffen schien mir verwirrend und wurde noch unheimlicher durch die Musik, die in jeder Straße aus Lautsprechern dröhnte.
Das Clementi-Pianino gehört zu den bedeutendsten der vergessenen Klaviere Russlands. Möglicherweise wurde es von den Deutschen oder Spaniern geraubt; beide hatten Einheiten im Schloss Pawlowsk untergebracht, wo es zuletzt gesehen wurde.
Etliche Schätze aus der Eremitage wurden während des Krieges zur Sicherheit im Keller des Ipatjew-Hauses verwahrt, eine Ironie angesichts der Tatsache, dass so viele der Objekte der Zarenfamilie gehört hatten, die in dessen Keller ermordet worden war.
Nach einem langwierigen Rechtsstreit in den 1970er Jahren wurde der Firma Grotrian-Steinweg untersagt, die Verbindung zur Familie Steinway auf dem amerikanischen Markt kenntlich zu machen. Im Export nach Nordamerika ließ Grotrian-Steinweg also den zweiten Namen weg; die Marke heißt dort nur Grotrian.
Da die Tinte verschmiert ist, ist der Nachname nicht genau zu entziffern.
Galitsch wurde im Juni 1974 mehr oder minder aus der Sowjetunion vertrieben. Einige Jahre danach wurde er in Paris tot aufgefunden, er hatte einen Stromschlag erhalten, als er ein neues Tonbandgerät anstecken wollte. Seine Geschichte wird erzählt in: Alexander Galich, Songs and Poems. Übers. von Gerald Stanton Smith, Ann Arbor 1983.
Seit 1964 gab es nur ein einziges Plattenlabel in der Sowjetunion, Melodija. Ausländische Musik wurde strikt reguliert.
Anne Swartz, Piano Makers in Russia in the Nineteenth Century, Bethlehem 2014.
Eines der interessantesten Resultate war das Erard-Klavier aus Tobolsk, Seriennummer 75796, beschädigt am 22. März 1988 durch eine geplatzte Heißwasserleitung. Es ließ sich auf einen Käufer aus Polen zurückführen, der es 1896 erworben hatte.
Unwissentlich half Steller auch, den Untergang der Manatis zu beschleunigen. Nur 27 Jahre nach seiner Entdeckung wurden diese zahnlosen Riesen, die friedlich nahe an der Küste grasten, »halb schwimmend, halb gehend«, von anlandenden Pelzjägern, die es auf eine leicht zugängliche Nahrungsquelle abgesehen hatten, ausgelöscht.
1931 wurden die großen amerikanischen Flieger Charles und Anne Lindbergh in ihrem Wasserflugzeug von einem japanischen Schiff nach Simuschir geschleppt, nachdem sie auf dem Flug von New York nach Nanking eine unangekündigte Landung vollführt hatten.
Der britische Anthropologe Charles Hawes machte eine ähnliche Erfahrung, als er um die Jahrhundertwende von den russischen Behörden auf Sachalin zur Befragung einbestellt wurde. Wie ich war er umsichtig gewesen. Wie ich war auch er überrascht von der Eloquenz seines Befragers: »Ein hochgebildeter Mann, neben seiner Muttersprache beherrschte er Englisch, Französisch und Deutsch, und in der englischen Literatur war er erstaunlich beschlagen.« Charles H. Hawes, In the Uttermost East. London — New York 1904.