An eine moderne Kleintierpraxis werden heutzutage sowohl vom tierärztlichen Team als auch von Klienten bzw. Patientenbesitzern hohe Anforderungen gestellt. Die eigene Praxis soll selbstverständlich funktionell und hygienisch sein, aber gleichzeitig auch freundlich und angenehm wirken. Zudem soll in der Regel die Praxis-Philosophie gleich auf den ersten Blick erkennbar sein; die Räume sind somit eine Art Aushängeschild der Praxis.
Tierbesitzer wünschen sich fachlich kompetente Tierärzte. Neben dem fachlichen Können spielen für die Klienten dabei jedoch auch andere Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nach einer Studie von Bergler ▶ [5] etwa wünschen sich 80% der Befragten einen Tierarzt mit Einfühlsamkeit für Mensch und Tier. Für 86% der Befragten ist zudem die „Tierliebe“ des Tierarztes von Bedeutung. Wenn ein Tierarzt als besonders tierlieb empfunden wird, oder wenn das eigene Tier bei einem bestimmten Tierarzt wenig Angstverhalten und Stress zeigt, dann neigen die Besitzer dazu, diesen Tierarzt in Zukunft öfter aufzusuchen. Eine tierfreundliche Tierarztpraxis ist somit nicht nur aus Tierschutzgründen erstrebenswert, sondern auch unter ökonomischen Gesichtspunkten.
Es ist nicht immer einfach, allen Ansprüchen an eine moderne Kleintierpraxis gerecht zu werden, und Kompromisse sind oft notwendig. Da auch häufig bereits bestehende Räumlichkeiten für eine Praxis genutzt werden, sind die Möglichkeiten für Umbaumaßnahmen oder größere Umgestaltungen im Einzelfall deutlich begrenzt. Dennoch können verschiedene bauliche Maßnahmen getroffen oder aber Räume mit teilweise einfachen Mitteln umgestaltet werden, um eine Praxis tierfreundlicher zu gestalten.
Neben den räumlichen Gegebenheiten ist – wie bereits erwähnt – der Umgang mit den Tieren ein wesentlicher Faktor hinsichtlich der Tierfreundlichkeit einer Praxis. Dafür ist eine entsprechende Schulung des Personals, aber auch der Patientenbesitzer im Umgang mit Tieren in der Tierarztpraxis erforderlich.
Im Folgenden soll ein Überblick über verschiedene hilfreiche Maßnahmen gegeben werden.
Idealerweise kann eine Tierarztpraxis vor dem Bau detailliert geplant werden. In solch einem Fall sollte unbedingt auch auf die Größe und Gestaltung des Wartezimmers und des Empfangsbereiches besonderer Wert gelegt werden.
Der Empfangsbereich sollte im Idealfall so gelegen sein, dass die Klienten mit ihren Tieren nicht durch ein Spalier bereits wartender Tiere gehen müssen. Um den Empfangstresen nicht direkt hinter der Eingangstür aufstellen zu müssen, lässt sich mithilfe von hohen oder halbhohen Raumteilern (z.B. Kommoden, Regale mit undurchsichtiger Rückwand) ein vom Wartezimmer getrennter Eingangsweg schaffen ( ▶ Abb. 1.1).
Abb. 1.1 Beispiel für einen durch Raumteiler geschaffenen Eingangsweg durch das Wartezimmer.
Insgesamt ist eine Entzerrung der Patientendichte vor allem im Eingangsbereich immer anzustreben – denn auch für eigentlich ausgeglichene und freundliche Tiere kann das Aufeinandertreffen mit unbekannten Tieren auf engem Raum so belastend sein, dass sie reaktiv werden.
Dem Wartezimmer kommt eine besondere Funktion in einer Tierarztpraxis zu. Es ist zum einen häufig der Raum, durch den die Kleintierpraxis betreten wird. Zum anderen verbringen die Tiere mit ihren Besitzern darin in der Regel eine gewisse Zeit. Daher sollte dieser Raum besonders sorgfältig geplant und eingerichtet werden.
Merke
Die Situation im Wartezimmer stellt für die meisten Tiere einen nicht zu unterschätzenden Stressor dar.
Der Aufenthalt im Wartezimmer ist insgesamt als nicht zu unterschätzender Stressfaktor für Tiere zu werten. So wiesen beispielsweise sogar unter einer kontrollierten Testsituation ohne weitere Tiere im Wartezimmer ein Viertel der in einer Studie untersuchten Hunde Anzeichen für einen hohen Stresslevel auf ▶ [11]. Diese Hunde mit hohem Stresslevel zeigten beim anschließenden Gang vom Wartezimmer in den Behandlungsraum signifikant häufiger Widerstand als Hunde mit einem niedrigeren Stresslevel. Insgesamt zeigten zwei Drittel der Hunde während einer dreiminütigen Beobachtungsphase mindestens ein Anzeichen von Stress. Bemerkenswert in dieser Studie ist zudem, dass die Einschätzung des Stresslevels durch die Besitzer nicht sehr stark mit der Einschätzung durch einen Verhaltensexperten korrelierte. Das bedeutet, dass auch der Tierarzt sowie sein Personal gefordert sind, Stress im Wartezimmer zu erkennen und entsprechend dagegen vorzugehen. Dies kann beispielsweise durch das Separieren besonders gestresster Individuen in einen separaten Wartebereich geschehen.
Die erwähnte Studie wurde nur mit Hunden ohne gesundheitliche Probleme durchgeführt. Ist ein Tier jedoch krank oder verletzt, so muss davon ausgegangen werden, dass die Zeit im Wartezimmer eine noch deutlich höhere Belastung darstellt, da das körperliche Unwohlsein erschwerend hinzukommt.
Platz ist eines der wichtigsten Kriterien bei der Planung und Gestaltung eines tierfreundlichen Wartezimmers. Je mehr Platz vorhanden ist, desto eher können sich scheue Tiere zurückziehen, und umso besser können verschiedene Tierarten getrennt werden. Idealerweise stehen entweder verschiedene Zimmer oder aber mehrere, klar abgetrennte Bereiche zur Verfügung, sodass zumindest eine Trennung von Hunden und Katzen, sowie auch von kleinen Heimtieren und Beutegreifern möglich ist ( ▶ Abb. 1.2).
Abb. 1.2 In dieser Tierarztpraxis stehen verschiedene Wartebereiche zur Verfügung, sodass auch ein Vorraum – falls nötig – als Wartebereich genutzt werden kann.
(Quelle: Dr. Ilona Backofen, Dietenheim.)
Sollte nur ein einziger Raum als Wartebereich vorhanden sein, dann muss dieser immer so gut wie möglich in mehrere, separate Bereiche eingeteilt werden. Gerade für die Halter von sehr ängstlichen, aggressiven oder anderweitig schwierigen Tieren ist der Aufenthalt im Wartezimmer immer mit besonders viel Stress verbunden. Dieser Stress des Halters überträgt sich zudem auf das Tier. So kann ein regelrechter Teufelskreis entstehen. Solche Tiere und ihre Halter sollten daher nach Möglichkeit immer in getrennten Zimmern warten können. Dies kann enorm dazu beitragen, die Wartezeit für alle Beteiligten zu erleichtern. Wenn kein weiterer Raum vorhanden ist, bietet es sich auch an, schwierige Patienten vorübergehend in einem nicht benötigten Behandlungsraum unterzubringen. Besitzern von schwierigen Tieren sollte dabei immer klar mitgeteilt werden, dass sie die Möglichkeit haben separat zu warten. Dies sollte diskret und wertfrei erfolgen, um die Besitzer nicht vor anderen Klienten bloßzustellen.
Bei ausreichendem Platz, wie es beispielsweise oft in einer größeren Klinik gegeben ist, können auch durch einen Eingangsweg und entsprechende Raumteiler getrennte Wartebereiche angelegt werden ( ▶ Abb. 1.1).
Wenn irgend möglich, empfiehlt es sich, mehr als einen Ein- bzw. Ausgang zur Praxis zu haben. Idealerweise führt der zweite Eingang auch nicht durch das Wartezimmer, sondern direkt in ein Behandlungszimmer oder in den Gang. Der zweite Eingang kann beispielsweise für solche Tiere genutzt werden, die besonders ängstlich und/oder besonders aggressiv auf andere Tiere reagieren. Wenn sie durch einen separaten Eingang geleitet werden können, mindert dies nicht nur die Belastung für den Patienten, sondern auch für dessen Besitzer und weitere, bereits in der Praxis wartende Klienten mit ihren Tieren.
Praxistipp
Ein zweiter Ein- oder Ausgang ist prinzipiell sinnvoll. Er kann nicht nur für besonders ängstliche oder aggressive Patienten genutzt werden, sondern auch, wenn die Klienten nach einem emotional belastenden Erlebnis gerne unbeobachtet aus der Praxis gehen möchten.
Tiere haben normalerweise ein sensibleres Gehör als Menschen. Vor allem kleine Heimtiere sind besonders geräuschempfindlich. Bereits bei Umgebungsgeräuschen von 85 dB – entspricht in etwa dem Lärm eines Rasenmähers oder einer Hauptverkehrsstraße – sind deutliche Stressanzeichen festzustellen ▶ [1]. Es ist daher empfehlenswert, den Geräuschpegel bei maximal 60 dB zu halten ▶ [9].
Die Stimmen des Praxispersonals sollten immer ruhig und freundlich klingen. Eventuell stressige Geräusche aus Nebenräumen sollten, wenn nötig, mithilfe von weißem Rauschen oder leisen Hintergrundgeräuschen ausgeblendet werden ▶ [9]. Im gesamten Bereich einer Praxis, in dem sich Patienten kurz- oder langfristig aufhalten, ist zudem auf die Verwendung schallschluckender Materialien für Decken und Böden Wert zu legen. Aus diesem Grund sollten beispielsweise auch nur die nötigsten Orte gefliest werden. Vorhänge, Decken aus Gipskarton etc. helfen ebenfalls den Schallpegel niedrig zu halten. Werden aus hygienischen Gründen keine Vorhänge verwendet, so ist größerer Wert auf die Decken- und Bodengestaltung zu legen ( ▶ Abb. 1.3).
Abb. 1.3 Aus hygienischen Gründen wurde in dieser Praxis auf Vorhänge verzichtet. Der Boden und die Decke sollten in einem solchen Fall immer mit schalldämpfendem Material gestaltet werden.
(Quelle: Dr. Pia Zausinger, Niederaichbach.)
Als Bodenbeläge in der Tierarztpraxis eignen sich vor allem PVC und Kautschuk, da sie eine ausreichende Rutschsicherheit gewährleisten sowie hygienisch abwaschbar sind. Bei Holzböden ist aufgrund der Ritzen und Spalten eine hygienische Reinigung nur schwer möglich. Ein weiterer Vorteil von Kautschuk ist zudem, dass der Boden schallschluckender und somit leiser ist als beispielsweise ein PVC-Boden. Es empfiehlt sich bei den Böden mindestens einen Haftreibwert von R9 anzustreben, wie er für Arztpraxen laut BGR 181 ▶ [8] nötig ist. Noch besser ist ein Haftreibwert von R10. Dieser Boden ist trittsicher bis zu einem Neigungswinkel von 10–19° und bietet gerade aufgeregten Hunden besseren Halt.
Auch für den Behandlungsraum sollten die oben erwähnten Anforderungen an Böden und verwendete ▶ Baumaterialien erfüllt werden. Zudem sollte ein Behandlungsraum immer so groß wie möglich gehalten werden, um Tier, Besitzer und Praxisteam nicht unnötig einzuengen. Dies ist wichtig, damit sich Tierarzt und Assistent uneingeschränkt rund um den Behandlungstisch bewegen können. Aber auch die Patienten (v.a. Hunde) benötigen genug Bewegungsfreiraum. Bewegung hilft dabei, Stress abzubauen.
Darüber hinaus fühlen sich Klienten in der Regel ebenfalls wohler, wenn der Behandlungsraum weitläufiger gestaltet ist – und so gelingt es ihnen eher, diese positiven Gefühle auf ihre Tiere zu übertragen.
Zusätzlich sollten sich nach Möglichkeit nicht zu viele Personen auf einmal im Behandlungsraum aufhalten. Dies stellt eine nicht zu unterschätzende Belastung für das Tier dar – besonders dann, wenn viele dem Tier unbekannte Personen anwesend sind ( ▶ Abb. 1.4).
Abb. 1.4 Überfüllter, vollgestellter Behandlungsraum. Der Hund, ein Korea Jindo Dog, zeigt Stressanzeichen: hohe Körperspannung, geweitete Pupillen und Beobachten des Ausgangs.
Im Einzelfall muss somit überlegt werden, welche Personen eventuell gebeten werden sollten draußen zu warten.
Im Behandlungsraum sollte ein stabiler, feststellbarer Behandlungstisch stehen, der sich in der Höhe so verstellen lässt, dass ein Hund bequem hinaufsteigen kann. Zu beachten ist hierbei jedoch, dass die meisten Hunde sehr ängstlich auf das Hochfahren des Tisches bzw. auf das damit verbundene Motorgeräusch reagieren.
Wenn möglich, sollte bei Hunden eine Untersuchung auf dem Boden durchgeführt werden. Vor allem große, schwere Hunde haben meist wenig Platz auf dem Behandlungstisch. Selbstverständlich sollte der Behandlungstisch mit einer rutschfesten Auflage ausgestattet ist. Wenn die Pfoten oder Krallen der Patienten auf dem Tisch Halt finden, reduziert dies den Stress, dem die Tiere in einer solch exponierten Position ausgesetzt sind. Meist beugt eine solche Auflage auch einem größeren Wärmeverlust durch den kalten, metallenen Tisch vor.
Die Leuchten im Behandlungsraum, vor allem aber über dem Behandlungstisch, sollten nach Möglichkeit dimmbar sein. Einerseits ist eine helle Beleuchtung für manche Untersuchungen unerlässlich, andererseits sind die Augen vieler tierischer Patienten jedoch sehr empfindlich. Daher sollte die hellste Lichteinstellung nur für die Dauer der notwendigen Untersuchung gewählt werden. Ansonsten sind Lichter zu dimmen.
Dies ist besonders bei Albinos wichtig, deren Augen sehr viel lichtempfindlicher sind als pigmentierte Augen. Bei Albinoratten kann die Retina beispielsweise schon bei sehr geringer Lichtintensität Schaden nehmen (u.a. ▶ [17]). Bei Stress weitet sich zudem die Pupille der Tiere, und helles Licht kann ungehindert in die Augen dringen ( ▶ Abb. 1.5). Aber auch bei älteren ▶ Katzen ist es angebracht, kein zu helles Licht zu verwenden. Gerade fluoreszierendes Licht wird als unangenehm empfunden. Natürlichem Licht ist nach Möglichkeit immer der Vorzug zu geben.
Abb. 1.5 Maximal geweitete Pupillen bei einem gestressten Meerschweinchen auf dem Schoß seines Besitzers.
Kalte, glatte Oberflächen, wie sie meistens auf dem Behandlungstisch zu finden sind, werden von Patienten in der Regel als negativ empfunden. Vor allem kleine Heimtiere können auf einem metallenen Tisch auch schnell auskühlen. Warme, weiche Oberflächen sind zu bevorzugen. Gummimatten oder auch angewärmte Handtücher können hier sehr hilfreich sein und sollten nach Möglichkeit auf jedem Behandlungstisch verwendet werden ( ▶ Abb. 1.6). Aus hygienischen Gründen müssen die Handtücher selbstverständlich nach jedem Tier ausgetauscht werden. Eine ökonomischere Variante ist es, den Besitzer eigene Handtücher mitbringen zu lassen.
Da wackelige Untergründe zu unnötigem Stress führen, muss der Behandlungstisch immer stabil und gerade stehen.
Tiere haben im Allgemeinen einen besseren Geruchssinn als Menschen, da sie sich überwiegend geruchlich orientieren. Es ist somit essenziell, dass der Behandlungsraum möglichst frei von unangenehmen Gerüchen ist. Dennoch sollten die benutzten Oberflächen zwischen zwei Patienten immer sorgfältig abgewischt werden – besonders, wenn gerade ein sehr gestresstes Tier behandelt wurde. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Pheromone, die Informationen über den empfundenen Stress beinhalten, entfernt werden. Nach einer Desinfektion zwischen zwei Patienten im Behandlungszimmer oder im stationären Bereich sollte eine kurze Zeit abgewartet werden – dann sind die chemischen Düfte verflogen, bevor ein neuer Patient das Behandlungszimmer betritt ▶ [9].
Die sogenannten Appeasing Pheromone, die für Katzen und Hunde kommerziell erhältlich sind, können eventuell dazu beitragen, die Stressbelastung für Tiere im Behandlungsraum zu reduzieren. Es liegen zu diesen Produkten verschiedene Studien vor, die teilweise etwas widersprüchliche Ergebnisse aufweisen. Die meisten Studien kommen aber zu dem Schluss, dass die Pheromone hilfreich sind (u.a. ▶ [13], ▶ [15]). Vor allem auch bei stationär aufgenommenen Hunden haben sich die Produkte bewährt. So finden beispielsweise Siracusa et al. ▶ [18] durchaus auch positive Effekte eines synthetischen Dog-appeasing Pheromone (DAP)-Produktes im Aufwachraum nach einer Operation bei Hunden. DAP kann laut Kim et al. ▶ [10] auch bei stationär aufgenommenen Hunden Verhaltensweisen reduzieren, die mit Trennungsangst assoziiert sind.
Aus diesen Gründen kann eine Anwendung der Pheromone in der Tierarztpraxis im Behandlungsraum sowie im stationären Bereich durchaus empfohlen werden, auch wenn es selbstverständlich keine 100%ige Erfolgsgarantie gibt. Die jeweiligen Produkte (Adaptil® für Hunde und Feliway® für Katzen) können allgemein im Behandlungsraum verbreitet ( ▶ Abb. 1.6) oder aber gezielt auf den Behandlungstisch gesprüht werden, bevor das Tier hereingebracht wird.
Abb. 1.6 Ein Feliway®-Stecker im Behandlungsraum einer Kleintierpraxis (hinten im Bild) kann bei der Behandlung von Katzen hilfreich sein. Beachte auch die warme Decke, die zusätzlich zur Gummiauflage auf dem Behandlungstisch verwendet wird.
(Quelle: Dr. Ilona Backofen, Dietenheim.)
Das Pheromonprodukt Felifriend® kann bei der Behandlung von ▶ Katzen ebenfalls hilfreich sein. Es ist allerdings momentan nicht verfügbar.
Ein Adaptil®-Zerstäuber bzw. ein Feliway®-Diffusor können darüber hinaus auch im Wartezimmer zum Einsatz kommen. Da die darin enthaltenen synthetischen Pheromone der innerartlichen Kommunikation dienen, ist kein negativer Effekt auf die jeweils andere Spezies zu erwarten.
Auch im stationären Bereich einer Tierarztpraxis können Maßnahmen ergriffen werden, um den Aufenthalt für die Tiere angenehmer zu gestalten.
Platz ist hier wieder eine wichtige Grundvoraussetzung. Besonders wenn den Tieren ein tagelanger Aufenthalt in den Klinikräumen bevorsteht, ist es wichtig, dass sie ausreichend Platz haben, um sich bewegen zu können. Daher sollten immer möglichst große Käfige angeschafft werden. Große Boxen lassen sich in der Regel einfacher tiergerecht gestalten, da sie in verschiedene Funktionsbereiche aufgeteilt werden können. Dies ist nicht nur für das Wohlbefinden von Hunden und Katzen wichtig, sondern auch von kleinen Heimtieren. So streben beispielsweise Ratten danach, Ruhe- und Kotorte räumlich voneinander zu trennen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn genügend Grundfläche zur Verfügung steht ▶ [7].
Bei Beutetieren, wie etwa Ziervögeln oder den kleinen Heimtieren, ist es wichtig, die Käfige möglichst hoch anzubringen bzw. die Tiere möglichst nur in solche Boxen zu setzen, die sich auf Augenhöhe befinden. Alle kleinen Beutetiere fürchten sich nämlich vor plötzlichen Bewegungen von oben. Dies ist beispielsweise bei ▶ Meerschweinchen besonders ausgeprägt.
Auch für Katzen ist es eine besondere Belastung, wenn sie in Käfigen im Bodenbereich untergebracht sind, da sie eine Beobachtung der Umgebung von einem erhöhten Standpunkt aus brauchen, um sich sicher zu fühlen. ▶ Katzen benötigen zudem einen sicheren Unterschlupf, in den sie sich zurückziehen können, um sich wirklich sicher zu fühlen. Die Transportkiste kann dabei als einfache Höhle im Käfig fungieren – vorausgesetzt, es ist noch genügend Platz für Futterschüssel und eine ausreichend große Katzentoilette. Zusätzlich zu einer Höhle zum Verstecken kann ein teilweises Abhängen der Käfigtüren mit Handtüchern ängstlichen Tieren mehr Sicherheit geben.
Merke
Auch im stationären Bereich sind alle oben genannten Anforderungen an Schalldämmung, Licht und Gerüche gültig.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein möglichst tierfreundliches Handling ist Zeit. Gerade bei als schwierig bekannten Patienten sollte daher nach Möglichkeit auch in einer geschäftigen Tierarztpraxis ausreichend Zeit eingeplant werden.
Eine weitere Grundvoraussetzung für tiergerechtes Handling ist es, sich der eigenen Körpersprache bewusst zu sein, und diese gezielt einzusetzen. Als Primaten tendieren Menschen dazu, gerade auf jemanden zuzugehen, Blickkontakt zu halten und von oben zu streicheln. Dies wird jedoch von den meisten Tierarten als unangenehm empfunden. Gerade das direkte Starren in die Augen wird von Hunden und auch Katzen als Drohung gewertet. Es ist daher strikt zu vermeiden.
Merke
Gerade Hunden und Katzen sollte man nach Möglichkeit nie in die Augen starren. Der Blick sollte neben das Auge fallen.
Bei allen Tieren sollten plötzliche, von oben kommende Bewegungen generell vermieden werden. Von kleinen Heimtieren und Vögeln werden diese Bewegungen unter Umständen als Angriff eines Beutegreifers empfunden und lösen extreme Stressreaktionen aus. Für Hunde und Katzen können sie wiederum eine klare Drohung darstellen.
Die Einstellung des Menschen, der sich mit einem Tier befasst, hat ebenfalls einen großen Einfluss auf die Qualität des Umgangs ▶ [9]. Tierärzte müssen daher besonders darauf achten, dass das Praxispersonal über ausreichend ethologische Grundkenntnisse verfügt, um zu erkennen, dass ein Patient ängstlich ist oder sich bedroht fühlt – und nicht „störrisch“ oder „widerspenstig“ ist. Auch wenn ein Tierarzt bemerkt, dass dem Besitzer das Verständnis für das Verhalten des Tieres fehlt, sollte er das Verhalten sowie die Gründe dafür ausführlich zu erklären, ohne aber dabei den Besitzer bloßzustellen.
Insgesamt ist auf einen ruhigen, sanften Umgang zu achten. Das gesamte Praxispersonal sollte regelmäßig Schulungen zum stressarmen Handling von Tieren in der Tierarztpraxis besuchen. Auf artspezifische Besonderheiten ( ▶ Hunde, ▶ Katzen, ▶ Kaninchen, ▶ Meerschweinchen, ▶ Goldhamster, ▶ Ratten, ▶ weitere kleine Heimtiere, ▶ Vögel) ist besondere Rücksicht zu nehmen.
Für jeden Patienten sollte umgehend in der Patientenakte vermerkt werden, welches Handling bzw. welche Strategie besonders gut oder besonders schlecht funktioniert hat. Auf diese Weise können zukünftige Besuche noch effektiver und tierfreundlicher gestaltet werden, ganz besonders in Praxen mit viel Personal.
Für einige Eingriffe oder Untersuchungen ist es notwendig, den Patienten zu fixieren. Insgesamt sollten die Tiere aber so wenig wie möglich fixiert werden. Automatisches Ausführen von Nackengriff etc. bei kleinen Heimtieren sollte unterbleiben. Sanfteren Methoden – wie etwa dem Einwickeln in ein Handtuch oder dem Abdecken der Augen – ist wenn möglich immer der Vorzug zu geben.
Ist eine Fixation unumgänglich, sollte sie immer möglichst sicher und kurz durchgeführt werden. Während der Fixierung ist das Tier umfassend zu stützen. Sollte ein Patient während der Fixierung für länger als drei Sekunden zappeln, so empfiehlt es sich, den Griff neu zu positionieren, nachdem das Tier sich wieder beruhigt hat ▶ [9].
Im Einzelfall ist abzuwägen, ob ein Tier für eine bestimmte Untersuchung sediert werden kann und muss.
Merke
Patienten sollten immer so wenig wie möglich fixiert werden.
Eine weitere Möglichkeit, eine Prozedur oder Untersuchung für das betroffene Tier angenehmer zu gestalten, ist die Verwendung von verhaltenstherapeutischen Tools wie Calming Cap® oder Anxiety Wrap®. Letzteres ist eine Art Bandage, die um den betreffenden Hund gelegt wird und gleichmäßigen, sanften Druck auf den Körper ausübt. Dies hat auf manche Tiere einen beruhigenden Effekt. Die Calming Cap® ist eine Stoffkappe, die Hunden über die Augen gezogen werden kann. Die damit verbundene Sichteinschränkung beruhigt manche Hunde, besonders nachdem sie eine Sedierung verabreicht bekommen haben. Einschränkend muss hier erwähnt werden, dass diese Produkte nur bei einem kleinen Prozentsatz an Tieren hilfreich sind. Gerade bei angstaggressiven Hunden kann es kontraproduktiv sein, den Kopf zu manipulieren, wie das etwa für das Anlegen einer Calming Cap® notwendig wäre.
Die Verwendung eines ▶ Maulkorbs bei Hunden ist zum Schutz des Personals in einer Tierarztpraxis häufig notwendig. Nach Möglichkeit sollten die Besitzer daher angehalten werden, das Tolerieren eines ▶ Maulkorbs zu trainieren
Schlaufen-Maulkörbe, bei denen der Hund sein Maul nicht öffnen kann, sollten nur für sehr kurze Eingriffe verwendet werden ▶ [3]. Korb-Maulkörbe sind immer zu bevorzugen.
Aus Tierschutzgründen muss es ein allgemeines Anliegen von Tierärzten sein, die Angst von Tieren in der tierärztlichen Praxis generell zu reduzieren. Dadurch können unnötige Belastungen für die tierischen Patienten vermieden werden. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass es in Bezug auf die Kundenbindung von Vorteil ist, wenn ein Tier die tierärztliche Praxis freudig und freiwillig betritt und sich auch während der Behandlung entspannt verhält.
Eine gute Möglichkeit, die Tierarztpraxis bzw. bestimmte Prozeduren für die tierischen Patienten positiv zu besetzen, ist eine sogenannte klassische Gegenkonditionierung. Hierbei handelt es sich um eine Trainingsmethode, die auf der klassischen Konditionierung basiert. Ein Reiz (z.B. der Tierarzt) wird dabei mit besonders schmackhaftem Futter kombiniert. Auf diese Weise kann auf Dauer etwas Unangenehmes für den Hund zum positiven Schlüsselreiz umfunktioniert werden. Durch viele positive Erfahrungen (Leckerli) in der ursprünglichen Problemsituation wird schließlich eine langanhaltende Verhaltensänderung erreicht.
Praxistipp
Grundsätzlich sollte das Prinzip der Gegenkonditionierung nach Empfehlung von Herron u. Shreyer ▶ [9] u.a. in folgenden Situationen zur Anwendung kommen:
Injektionen
Festhalten durch einen Fremden
Nägelkürzen
rektale Temperaturmessung
Palpation
Untersuchungen mit dem Otoskop
Mikrochip-Injektionen
Platzieren auf einem kalten Tisch
Futterbelohnungen sind für die Gegenkonditionierung in der Tierarztpraxis in besonderem Maße geeignet. Wann immer sie nicht eingesetzt werden dürfen oder können, sollten verbales Lob, Streicheleinheiten, Spiel etc. als Verstärker verwendet werden. Besonders Hunde sprechen beispielsweise meist gut darauf an, Tricks vorführen zu dürfen. Dies kann auch vom Praxispersonal in den verschiedensten Situationen genutzt werden ( ▶ Abb. 1.7).
Abb. 1.7 Dieser Hund wird an den Behandlungstisch gewöhnt. Nachdem er den Tisch freiwillig betreten hat, führt er den Befehl „Gib Pfote“ aus.
(Quelle: Dr. Ilona Backofen, Dietenheim.)
Äußerst ängstliche Tiere oder Tiere, die eine extrem negative Erfahrung in der Tierarztpraxis gemacht haben, können im Laufe der Zeit eine regelrechte Praxis-Phobie entwickeln, wenn nicht mit Gegenkonditionierung gearbeitet wurde. Spätestens in solchen Fällen ist ein gezieltes Gewöhnungstraining nach dem Konzept der Gegenkonditionierung angebracht. Am sinnvollsten ist dieses Training in der Regel für Hunde und Katzen. Es kann je nach Praxis in den normalen Praxisalltag integriert werden oder zu einer Zeit außerhalb der offiziellen Sprechstunden stattfinden. Eine Abrechnung kann analog zu einer Verhaltensberatung erfolgen (wenn es sich um eine ausführliche Beratung und Behandlung handelt), oder es kann als Trainingseinheit bzw. Lehrtätigkeit abgerechnet werden. Dies ist momentan nicht durch die Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) geregelt und kann als freiberufliche Tätigkeit anders abgerechnet werden.
Im Zuge dieses Gewöhnungstrainings sollten zunächst sämtliche negativen Erlebnisse wie etwa schmerzhafte Behandlungen nach Möglichkeit vermieden werden, um ein optimales Ergebnis zu erzielen. Man sollte zudem immer einen gezielten Plan für die Gegenkonditionierung aufstellen. Auf die Lerngeschwindigkeit des jeweiligen Tieres muss allerdings individuell eingegangen werden. Das kann bedeuten den ursprünglichen Plan abzuändern, denn es sollte immer nur dann zum nächsten Schritt übergegangen werden, wenn im vorhergehenden Schritt kein oder nur noch sehr geringes Angstverhalten gezeigt wird. Zudem ist für jedes Tier eine adäquate Belohnung zu verwenden. Dabei muss es sich nicht immer um Leckerlis handeln.
Praxistipp
Beispiel für Durchführung einer Gegenkonditionierung in Bezug auf die Tierarztpraxis
1. Woche: drei Besuche in der Praxis, ohne Wartezeit im Wartezimmer. Leckerligabe im Behandlungsraum; jeweils mehrere Minuten Zeit für das Tier, sich im Behandlungsraum umzusehen
2. Woche: drei Besuche in der Praxis mit jeweils fünf Minuten Wartezeit im Wartezimmer unter Leckerligabe. Leckerligabe im Behandlungsraum; jeweils mehrere Minuten Zeit für das Tier, sich im Behandlungsraum umzusehen
3. Woche: drei Besuche in der Praxis mit jeweils fünf Minuten Wartezeit im Wartezimmer unter Leckerligabe. Leckerligabe im Behandlungsraum; jeweils mehrere Minuten Zeit für das Tier, sich im Behandlungsraum umzusehen. Zusätzliches Heben auf den Behandlungstisch und Leckerligabe dort
weiterhin 14-tägige Besuche in Wartezimmer und Behandlungsraum, jeweils mit Leckerligabe
Jungtiere, die noch keine negativen oder noch gar keine Erfahrungen in der Tierarztpraxis gemacht haben, können mithilfe von Gewöhnung und positiver Verstärkung recht einfach lernen, die Praxis als angenehmen Ort zu empfinden. Ein guter und einfacher Weg dies zu erreichen ist die Durchführung von Welpenspielstunden in den Praxisräumlichkeiten. Dies kann entweder durch den Tierarzt selbst geschehen oder aber in Kooperation mit einem Hundetrainer, der ausschließlich positive Trainingsmethoden verwendet. Durch diese Welpenspielstunden kann auch eine gute Kundenbindung erreicht werden, da Hundebesitzer dazu neigen, in die bereits bekannte Praxis zu gehen – vor allem wenn der Hund sich auf den Besuch in der Praxis freut. Im Rahmen der Welpenspielstunden können immer wieder einfache Habituationsübungen eingeführt werden. So sollten die Welpen beispielsweise im Rahmen der Stunden auch regelmäßig Zugang zu einem Behandlungsraum haben, dort auf dem Behandlungstisch ein adäquates Leckerli erhalten und wieder gehen. Wie wichtig die Gabe von Leckerlis in der Tierarztpraxis besonder für Hunde ist, wird in Kapitel 2 ausführlich besprochen.
Katzenspielstunden (Kitten Kindy etc.) können ebenfalls dahingehend genutzt werden. Insgesamt ist es aber bei Katzen aufgrund des komplexen Sozialverhaltens sowie großer individueller Unterschiede in der Akzeptanz neuer Situationen in der Regel schwieriger, solche Spielstunden sinnvoll anzubieten und so durchzuführen, dass es zu keinen negativen Assoziationen mit der Praxis oder der Gesamtsituation (sog. Sensibilisierung) kommt.
Hunde und Katzen, die nicht als Welpen an die Praxis gewöhnt wurden, können ebenfalls lernen, diese zu akzeptieren, ohne dass immer gleich ein aufwendiges Gewöhnungstraining durchgeführt werden muss. Eine Möglichkeit ist, gefüllte Futterbälle wann immer möglich zur Verfügung zu stellen – etwa, wenn die Anamnese erhoben wird. Zudem können die Besitzer angeleitet werden, ihrem Tier Leckerlis im Behandlungsraum zu geben ( ▶ Abb. 1.8). Wenn Leckerlis vom Besitzer kommen, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch angenommen werden.
Abb. 1.8 Futtergabe durch den Besitzer (hier vor dem Röntgentisch) kann einem Hund helfen, die Praxis als positiven Ort kennenzulernen.
Selbstverständlich ist darauf zu achten, dass diese Futterbelohnungen nur dann gegeben werden, wenn eine Futteraufnahme akzeptabel ist und beispielsweise anschließend keine Sedierung durchgeführt werden muss. Zudem müssen natürlich Leckerlis verwendet werden, die der entsprechende Hund oder die Katze auch verträgt. Erst wenn das geklärt ist, ist es sinnvoll, Futterspielzeuge zu befüllen.
Viele Tiere nehmen im Behandlungsraum keine Leckerlis, da sie dort stressbedingt eine psychogene Anorexie haben. Dennoch sollte immer zunächst versucht werden, noch hochwertigere Leckerlis anzubieten bzw. die Methode der Verabreichung zu ändern. Gerade Katzen nehmen oftmals Leckerlis eher direkt vom Tisch auf als aus einem Napf oder aus der Hand. Sollten die Leckerbissen weiterhin nicht angenommen werden, so ist es sinnvoll, sie den Tieren dennoch regelmäßig anzubieten. Auch wenn die Tiere momentan zu gestresst sind, um zu fressen, nehmen sie die Leckerlis meist dennoch wahr und können sich irgendwann dazu überwinden, die Futterbelohnung anzunehmen.
Leckerbissen zur Stressreduktion sollten aber nicht nur Hund und Katze angeboten werden, sondern allen Tierarten, wenn möglich ( ▶ Abb. 1.9). Idealerweise werden die Besitzer gebeten, bevorzugte Leckerlis für ihr Tier mitzubringen und für alle Fälle bereitzuhalten.
Eine Gegenkonditionierung in Bezug auf die Praxis ist prinzipiell für jede Tierart sinnvoll, vor allem aber für Hunde und solche Tiere, die sehr häufig in die Tierarztpraxis kommen müssen.
Abb. 1.9 Mit einem geeigneten Leckerli können auch scheue Meerschweinchen dazu bewegt werden, Kontakt mit der Hand des Untersuchers aufzunehmen oder diese sogar freiwillig zu betreten.
Die Besitzer, die mit ihren Tieren in die Kleintierpraxis kommen, sind für den behandelnden Tierarzt wichtige Partner, wenn es um einen tierfreundlichen Umgang mit den Patienten geht. Sie sollten daher frühzeitig über Möglichkeiten informiert werden, den Tierarztbesuch für ihr Tier angenehmer zu gestalten. Idealerweise geschieht dies bereits vor dem jeweiligen Termin. Zumindest sollte aber im Wartezimmer bzw. am Empfang entsprechendes Informationsmaterial ausliegen und vom Praxispersonal verteilt werden.
Die Mehrzahl der tierischen Patienten wird in der Regel mit dem Auto zur Kleintierpraxis befördert. Viele Tiere haben jedoch Angst vor der Autofahrt oder leiden unter der Reisekrankheit. Dies kann dazu führen, dass sie das Auto nur ungern oder gar nicht betreten wollen bzw. während der Fahrt hecheln und jaulen.
Beim Vorliegen von Reisekrankheit sollten die Besitzer unter Anleitung des Haustierarztes rechtzeitig vor der anstehenden Autofahrt entsprechende, individuell dosierte Medikamente geben. Bleibt aufgrund der Medikation das vom Tier erwartete negative Ereignis aus, wird im Laufe der Zeit eine deutliche Verbesserung des Verhaltens im Auto erreicht. Wird gleichzeitig ein Gewöhnungstraining durchgeführt, zeigen sich Erfolge meist schneller.
Handelt es sich jedoch um reine Angst vor dem Autofahren, so empfiehlt sich ein entsprechendes ▶ Gewöhnungstraining. Der Tierarzt muss die Besitzer besonders darauf hinweisen, dass Autofahrten nicht ausschließlich mit einem Tierarztbesuch enden sollten. Es ist wichtig den Besitzern klarzumachen, dass am Ende der überwiegenden Zahl der unternommenen Autofahrten ein positives Erlebnis steht (z.B. Spaziergang bei Hunden, Jagdspiele bei Katzen etc.).
Besitzer sollten spätestens bei ihrem ersten Besuch in der Tierarztpraxis auf die Wichtigkeit des sogenannten „Medical Training“ hingewiesen werden. Bei dieser Art des Trainings werden Tiere auf sanfte Weise auf Untersuchungen vorbereitet. Diese Vorgehensweise ist schon lange bei verschiedensten Zootieren (u.a. ▶ [14]), aber auch bei Versuchstieren (u.a. ▶ [16]) üblich. Sind Tiere an Handgriffe für verschiedene Prozeduren wie etwa die Blutentnahme gewöhnt, so kann der Eingriff stressärmer durchgeführt bzw. eine Sedierung vermieden werden. Auch eher ungewöhnliche Prozeduren können mithilfe des Medical Training geübt werden: So können etwa Hunde sogar darauf trainiert werden, minutenlang im Kernspintomografen still zu liegen ▶ [2].
Aus diesen Gründen sollten auch Haustierbesitzer ihre Tiere an verschiedene Berührungen gewöhnen. Vor allem solche Aktionen, die den Tieren besonders unangenehm sind, sollten trainiert werden – z.B. Krallenschneiden oder Ohrenuntersuchung.
Merke
Wenn ein Tier beim Handling durch den Besitzer bereits Aggression gezeigt hat, ist eine ausführliche Verhaltensberatung angezeigt, bevor mit dem Medical Training begonnen werden kann.
Bei Katzen empfiehlt es sich beispielsweise ganz besonders, das Eingeben von Tabletten oder anderen Medikamenten zu üben ( ▶ Abb. 1.10).
Abb. 1.10 Medical Training bei einem Kater. Das Tier lernt, eine Flüssigkeit aus einer Spritze aufzunehmen.
(Quelle: Sandra Pedretti, München.)
Dazu können besondere Leckerlis verwendet werden, die die Tiere nur in dieser Situation erhalten. Wenn möglich, sollte das entsprechende Leckerli auch dann gegeben werden, wenn tatsächlich ein Medikament verabreicht wurde.
Beim Medical Training sind die Besitzer genau anzuleiten und zu begleiten, damit nicht durch unsachgemäßes Training eine Sensibilisierung erfolgt. Idealerweise werden solche Prozeduren im Rahmen von verhaltenstherapeutischen Trainingseinheiten geübt.
Nicht immer können alle eventuell notwendigen Eingriffe und Maßnahmen vorab trainiert werden. In einem solchen Fall ist darauf zu achten, gleich möglichst positive Verknüpfungen zu bilden. So kann beispielweise das Lieblingsspielzeug einen Halskragen akzeptabel machen ( ▶ Abb. 1.11).
Abb. 1.11 Dieser Hund, der sein Lieblingsspielzeug zur Verfügung hat, toleriert den Halskragen nach einer Tumoroperation fast völlig problemlos.
(Quelle: Birgit Brandl, Niederaichbach.)
Den Besitzern sollte klargemacht werden, wie sie den Aufenthalt im Wartezimmer für ihr Tier so angenehm wie möglich gestalten. Wenn es getrennte Wartebereiche für verschiedene Tierarten gibt, muss dies klar kommuniziert werden. Besitzer sollten aktiv dazu angehalten werden sich zu melden, wenn sie einen separaten Wartebereich für sich und ihr Tier bevorzugen.
Transportboxen für kleine Heimtiere sollten erhöht abgestellt werden können; oder man sollte die Besitzer bitten, die Boxen auf dem Schoß zu halten. Dies kann im Einzelfall auch durch entsprechende Schilder im Wartebereich deutlich gemacht werden.
Jede Transportbox sollte nach Möglichkeit mit einer leichten Decke oder einem Handtuch abgedeckt werden, um die Vielzahl der im Wartezimmer auf ein Tier einstürmenden Stimuli zu beschränken. Falls ein Besitzer kein Tuch mitgebracht hat, sollten am Empfang sterilisierbare Handtücher vorrätig gehalten werden.
Im Behandlungsraum liegt es am Tierarzt bzw. am Assistenten, den Besitzer so genau wie möglich anzuleiten, wie er sich zu verhalten hat ( ▶ Hunde, ▶ Katzen, ▶ Kaninchen, ▶ Meerschweinchen, ▶ Goldhamster, ▶ Ratten, ▶ weitere kleine Heimtiere, ▶ Vögel). Es muss deutlich gemacht werden, wie dem Tier mehr Sicherheit gegeben werden kann. Die Compliance der Besitzer ist in der Regel umso höher, je besser sie die Gründe für ein von ihnen verlangtes Verhalten verstehen.
Merke
Klare und ausführliche Kommunikation mit dem Besitzer erhöht dessen Compliance im Handling.
Als eine besondere Situation, die nicht nur die Besitzer, sondern auch das Praxispersonal in erheblichem Maße belastet, ist die Euthanasie anzusehen. Wenn sich dieser finale Schritt der tierärztlichen Versorgung nicht vermeiden lässt, dann sollte er für das betroffene Tier so angenehm wie möglich gestaltet werden.
Nach Close et al. ▶ [6] muss eine Euthanasiemethode folgende primären tierschutzrelevanten Kriterien erfüllen:
schmerzfrei
führt möglichst schnell zu Bewusstlosigkeit und Tod
erfordert ein Minimum an Zwang
vermeidet Erregung
dem Alter, der Spezies und der Gesundheit des betroffenen Tieres angemessen
muss Angst und psychologischen Stress für das Tier minimieren
verlässlich und reproduzierbar
irreversibel
einfach zu verabreichen (in niedrigen Dosen, wenn möglich)
sicher für den Anwender
wenn möglich ästhetisch akzeptabel für den Anwender
Besonders zu beachten ist, dass die gewählte Methode mit möglichst wenig Stress und Angst verbunden ist und möglichst wenig Zwang angewendet werden muss. Die Voraussetzungen dafür sind in der Regel bei einem Hausbesuch eher gegeben als bei einer Euthanasie in der Praxis. Aus diesen Gründen ist eine Euthanasie nach Möglichkeit in der vertrauten Umgebung für jedes Tier anzustreben. Unter Umständen kann eine Euthanasie beim Hausbesuch auch dazu beitragen, dass der ausführende Tierarzt dieses Erlebnis besser verarbeiten kann. Da das Durchführen der Euthanasie ein Faktor sein kann, der für die hohe Selbstmordrate unter Tierärzten verantwortlich ist ▶ [4], ist es für einen Tierarzt auch aus Selbstschutzgründen anzustreben, ein notwendiges Einschläfern so stressarm wie möglich zu gestalten.
Im Einzelfall mag eine Euthanasie in den Praxisräumen der Weg der Wahl sein. Auch in diesem Fall sollte das Erlebnis so tierfreundlich wie möglich gestaltet werden. Hierbei ist es besonders wichtig einen ruhigen, abgeschiedenen Behandlungsraum zu haben, in dem die Besitzer auch vor oder nach der Prozedur noch eine Weile ungestört bei ihrem Tier bleiben können, wenn sie möchten. Je ruhiger und entspannter der Besitzer ist, desto ruhiger ist in der Regel auch das einzuschläfernde Tier. Der abgeschiedene Behandlungsraum sollte zudem die Möglichkeit bieten, die Praxis zu verlassen, ohne durch das Wartezimmer „Spalier laufen“ zu müssen. Eine Studie zur Euthanasie in der Tierklinik ▶ [12] kam zu dem Ergebnis, dass sich Tierbesitzer die Möglichkeit wünschen, während der Euthanasie anwesend zu sein, und dass sie umfassend darauf vorbereitet werden möchten, was sie erwartet. Zudem stimmten die Teilnehmer der Studie von Martin et al. ▶ [12] der Aussage zu, dass das Klinik- bzw. Praxispersonal darin ausgebildet sein sollte, mit den emotionalen Bedürfnissen der Patientenbesitzer umzugehen.
Zusammenfassung
Bei der Einrichtung von Empfang und Wartezimmer ist auf Platz und die Möglichkeit einer Trennung von verschiedenen Tierarten zu achten.
Für besonders schwierige Patienten müssen separate Wartemöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Eine Kleintierpraxis sollte über einen zweiten Eingang verfügen, um den Besitzern schwieriger Tiere oder emotional aufgewühlten Besitzern das Betreten bzw. Verlassen der Praxis zu erleichtern.
Für Decken und Böden müssen schallschluckende Materialien verwendet werden, um die Geräuschbelastung zu reduzieren. Böden müssen zudem den Haftreibwert R9 (besser: R10) aufweisen.
Der Behandlungsraum sollte groß genug sein, dass sich Praxispersonal und Patienten ungehindert darin bewegen können.
Der Behandlungstisch muss sicher stehen, feststellbar und mit einer rutschfesten Auflage ausgestattet sein. Die Leuchten müssen dimmbar sein.
Nach einer Desinfektion des Behandlungstisches sollte immer kurz gewartet werden, bis der Geruch des Desinfektionsmittels verflogen ist.
Adaptil®- oder Feliway®-Zerstäuber im Behandlungsraum und Wartezimmer können dazu beitragen, den Aufenthalt für die tierischen Patienten angenehmer zu gestalten.
Im stationären Bereich muss ausreichend Platz vorhanden sein, um große Käfigboxen unterzubringen. Diese lassen sich besser tiergerecht gestalten, vor allem für einen langen Klinikaufenthalt. Vögel, kleine Heimtiere und Katzen sind immer in erhöhten Käfigen unterzubringen.
Ein tierfreundliches Handling setzt Zeit und ethologische Grundkenntnisse voraus.
Patienten sollten so wenig wie möglich fixiert werden.
Hilfsmittel wie ein Anxiety Wrap® oder die Calming Cap® können im Einzelfall hilfreich sein.
Gut sitzende Korb-Maulkörbe sind gegenüber den Schlaufen-Maulkörben, bei denen der Hund das Maul nicht öffnen kann, immer zu bevorzugen.
Die Gegenkonditionierung mit Futter oder anderen, hochwertigen Ressourcen ist die beste Möglichkeit, eine Tierarztpraxis positiv für ein Tier zu besetzen. Bei einer Praxis-Phobie muss ein aufwendiges Gewöhnungstraining durchgeführt werden.
Besitzer sind darin anzuleiten, wie sie mit ihrem Tier ein Medical Training durchführen können und wie sie ihr Tier auf der Autofahrt, im Wartezimmer und im Behandlungsraum optimal unterstützen können.
Eine Euthanasie sollte mit möglichst wenig Stress, Angst oder Zwang für das betroffene Tier verbunden sein. Bei einem Hausbesuch sind die Voraussetzungen dafür in der Regel besser. In der Praxis sollte eine Euthanasie in einem ruhigen, abgeschiedenen Behandlungsraum durchgeführt werden. Klienten müssen vorab ausführlich aufgeklärt werden und sollten anschließend ausreichend Zeit haben, sich von ihrem Tier zu verabschieden.
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